Sie haben den Mut gefunden, sich hierher zu klicken. Gut so. Sieht ja keiner. Viele reden drüber, aber einigen ist der Unterschied zwischen einem Korrektorat und einem Lektorat nicht bekannt. Ich will ihn erklären.
Der Lektor schnappt sich Ihr Manuskript und liest es mit einer dauerfragenden Grundhaltung. Er fragt sich: Interessiert das den Leser? Kapiert er das? Kann das stimmen? Verstehe ich die Figuren? Kommt ein Ereignis zu früh? Zu spät? Würde ich, zahlte ich für dieses Buch, wirklich so viel Geld ausgeben? Was kann man besser machen? Muss diese Figur wirklich so strunzdumm sein? Glauben Sie, dass das mit der digitalen Übertragung laktosefreier H-Milch wirklich funktioniert, als sei die Milch ein Fax? Wollen Sie mit diesem schiefsten aller schiefen Sprachbilder wirklich an die Öffentlichkeit? Und warum heißen zwei Personen, Männlein und Weiblein, Alex?
Der Lektor schaut aber auch, ob Sie sprachlich auf der Höhe der Zeit sind. Wenn Sie dazu neigen, allzu barock zu schreiben, hier noch ein Adjektiv reinzuquetschen, dort einen weißen Schimmel wiehern zu lassen, hier den Blauschimmelkäse allzu blau schimmeln zu lassen, greift der Lektor zum Rotstift in Form der Löschtaste. Das Gelöschte sehen Sie, jeden veränderten Satz sehen Sie, jedes frische Komma sehen Sie – und mehr noch: Jede der Änderungsvorschläge (ja, es sind Vorschläge!) müssen Sie annehmen oder ablehnen.
Denn der Lektor quält Sie. Also nicht direkt. Er stellt die Fragen im Manuskript. Und Sie müssen alle Fragen beantworten und auf die Vorschläge reagieren – wenn Sie das nicht tun, selbst schuld! Nun, Sie müssen diese Fragen in der Tat nicht beantworten, wenn Ihnen das zu blöd ist; es gibt die Option Alle Änderungen akzeptieren …
Was auch immer Sie tun: Verantwortlich sind Sie. Sie schreiben das Buch. Sie sollten sich die Fragen und Anmerkungen nur mal anlesen. Ich zwinge Ihnen nichts auf. Und damit ist eines schon klar: nie im Leben würde ich in Ihr Buch so eingreifen, dass Sie sich fragen, ob das noch Ihr Buch ist. Ich mosere nicht grundsätzlich an Ihrem Stil und Ihrer Denkart herum; ich biege Sie nicht auf irgendetwas. Ich mache lediglich deutlich aufmerksam.
Aber wenn Sie einen Menschen morgens in ein Flugzeug nach Madrid steigen lassen – sagen wir: von Mönchengladbach aus –, dann überprüfe ich, ob es ein Flugzeug von Düsseldorf (das wäre der Flughafen zu Mönchengladbach) nach Madrid gibt. Und wenn Sie denselben Menschen in Madrid wild morden lassen, Verabredungen treffen, eine Affäre haben, Tapas essen lassen, dann frage ich Sie auch, ob derselbe Mensch abends um 18 Uhr einen Termin in Helsinki haben kann. Wenn Sie dann meinen, das ginge – dann geht es halt, jedenfalls in Ihrem Werk Sie sehen schon, Sie können den Lektor als Ihren Feind betrachten – oder als Hilfestellung. Aber wollen Sie einen Feind honorieren? Und wollen Sie mit einem Feind öfter telefonieren – wenn er meint, Grundsätzliches zum Text sagen zu müssen?
Den Korrektor kümmert das alles nicht. Den Korrektor müssen Sie sich als einen Menschen vorstellen, der abends beim Einbetten den Duden herzt und ihn morgens küsst. Für den ist der Duden die Bibel (diese schiefe Sprachbild, für Sie konstruiert, würde der Lektor bemängeln). Während der Lektor eher (das Wort ist zu groß!) künstlerisch arbeitet, ist der Korrektor Sachwalter der Korrektheit. Ihn kümmern keine schiefen Sätze oder falsch gebuchten Reisen nach Madrid – er achtet nur auf die grammatische Einwandfreiheit. Er tilgt Fehler. Er setzt Kommata und wirft sie raus, er macht aus Maniren Manieren, aus einem New York City Center Zubringerbus den durchgekoppelten New-York-City-Center-Zubringerbus und aus Rythmus den rechten Rhythmus. Und jedes sie in der Anrede ist nach des Korrektors Arbeit ein Sie.